
All Elite Wrestling
Dass überhaupt eine zweite Promotion in der Lage ist, ins nationale Fernsehen mit einem großen Deal und zu sehr guter Sendezeit zu kommen, hätte wohl vor zwei Jahren niemand wirklich angenommen. Zu sehr hat das Scheitern der Beziehung von TNA/Impact Wrestling und Spike TV da auch lange als abschreckendes Beispiel gegolten. Das es jetzt TNT als Sender ist, der Wrestling wieder ins Programm nimmt ist der Hinsicht auch nochmal überraschender, da dies ja der Haussender von WCW war, der damals nach der Übernahme durch Warner Brothers der Liga aus Atlanta den Gnadenstoß versetzte. Und zuvor war es ja auch nur Ted Turner gewesen, der seine schützende hat über WCW gehalten hatte. Eine emotionale Bindung, die die Executives aus Hollywood eher nicht hatten. Daher - wie gesagt - umso überraschender, dass TNiT nun wieder Wrestling zeigen will und dafür auch ordentlich investiert und den Mittwochabend Slot freiräumt.
Die Entwicklung dahin liegt zu Teilen in den Faktoren, die auch WWE schon ihre Traumverträge beschert haben. Wrestling gilt den Analysten der Finanzabteilungen als Live-Sport, der im Gegensatz zu Serien oder anderen Formaten nicht wirklich on demand geschaut wird, sondern klassisch vor dem TV. Ich hab da so meine Zweifel, ob diese Einschätzung richtig ist, aber nun ja. Die werden das ja sicherlich mal durchgerechnet haben, denke ich. Ein noch viel deutlicherer Punkt für die Gründung von AEW sind aber sicherlich die Sozialen Medien, internationale Streaming-Angebote und auch eben die Gründerväter der Liga allen voran Cody Rhodes, Matt & Nick Jackson, Kenny Omega und der Milliardär Tony Khan, seines Zeichens Sohn des Besitzers der Jacksonville Jaguars.
Widmen wir uns zunächst einmal diesen Personen. Matt & Nick Jackson waren zwei Tag Team Wrestler mit zwar spektakulären Kampfstil, deren Karriere vor 10 Jahren aber bereits am Ende zu sein schien, als sie bei TNA Wrestling ausgebootet wurden. Da sie keine großen Bookings bekamen, setzten sie quasi in einem letzten Akt des Versuches, ihre Karriere zu erhalten auf YouTube und Online-Medien und schufen ihren eigenen YouTube Channel. Aufgrund ihres Charismas gelang es ihnen dabei einen relativ große Fanbase zu schaffen, so dass sie wohl die bestverdienensten Wrestler außerhalb der WWE wurden, auch aufgrund ihres Gespürs für (Selbst-)Marketing. Sie existierten quasi unabhängig von den Independent Promotions in den USA als eigene Marke. Über Verbindungen zu Ring of Honor kamen sie dann zu New Japan Pro Wrestling, wo sie Teil des wohl erfoglreichsten und talentiertesten Stables westlicher Wrestler in den vergangenen Jahren wurden: dem Bullet Club, der eigentlich auch ne eigene Geschichte wert wäre, denn mit AJ Styles oder Prince Devitt/Finn Balor stehen Mitglieder dieses Stables auch momentan bei WWE an der Spitze. Jedenfalls kamen sie hier zusammen mit Kenny Omega, ein ehemaliger Drop Out des WWE-Nachwuchssystems, der über DDT und dann New Japan wohl zu einem der 5 besten Wrestler der Welt wurde. Gemeinsam gründeten sie das Projekt "The Elite", das auch als Webvideo-Format und Marketingmaschine sie unabhängig von konkreten Promotions machte. Hierzu stieß auch dann noch Cody, Sohn des "American Dream" Dusty Rhodes. Dieser hatte 2014 aus Frustration seinen WWE-Vertrag gekündigt, um sich als Wrestler selbst zu verwirklichen. Ausgestattet mit einer ziemlichen Old School Mentalität, aber auch dem "Selbstbewusstsein" seines Vaters, versuchte er das ganze größer zu denken, als bisher gemacht.
So gab es lange Zeit die These, dass niemand außer WWE in der Lage sei mehr 10.000 Zuschaue in den USA zu einer Wrestling-Veranstaltung zu ziehen. Eine Herausforderung die "The Elite" aufgrund ihrer Internet-Popularität, die auch darauf beruhte, dass NJPW einen Streaming Service gestartet hatte, so dass auch Menschen außerhalb Japans die Liga und damit wohl vom technischen Standpunkt her auch das beste Wrestling-Produkt weltweit verfolgen konnten. War zum Beispiel das jährliche G1 Climax-Turnier vor 5-6 Jahren nur Insidern ein Begriff, so gilt es mittlerweile auch in den USA und Europa als eines der Wrestling Highlights des Jahres. Damals noch gestützt von Ring of Honor und NJPW gelang es The Elite mit "All in" einen Event in der Seas Arena in Chicago zu veranstalten, der innerhalb von 30 Minuten ausverkauft war und der der größte Wrestling-Event in den USA seit 1993 wurde, der nicht mit WCW oder WWE in Verbindung stand. Auf Basis dieses Erfolges und unerwartet hoher PPV-Einnahmen wurde dann auch die TV-Industrie auf AEW aufmerksam.
Ab da verselbstständigte sich die Sache fast und anstatt auf einzelne große Events zu setzen, entsand die Idee doch gleich eine eigene Promotion zu gründen, jetzt wo sich gezeigt hatte, dass der Markt vorhanden ist und Leute Alternativen zu WWE suchen. An dieser Stelle kam dann Tony Khan hinzu als langjähriger Wrestling-Fan, der sich bereit erklärte, den finanziellen Background zu stellen, der es auch ermöglicht eigenständig zu agieren, da man bis dahin auf Kooperationen mit anderen Ligen für Wrestler oder einfach Videotechnik angewiesen war. Die Khan-Familie war dann auch Türöffner zu den großen Medienanstalten der USA.
Das hierbei freigesetzte Geld wurde dann auch kräftig investiert, um bisher als Freelancer agierende Wrestler unter Vertrag zu nehmen, wobei damit auch eine Trennung von NJPW verbunden war, die man in Japan wohl nur so bedingt positiv aufgenommen hat. Denn aus Sicht von NJPW hat AEW sich ein bißchen ins gemachte Nest gesetzt, dass NJPW mit seiner Expansion über den Pazifik begonnen hatte. Denn man merkt schon deutlich, dass "Shin Nihon" zwar weiterhin der Marktführer in Japan ist, der Hype im Westen durch den Verlust der Top-Zugpferde aber abgenommen hat. Nichtsdestotrotz gelang es Ring of Honor und NJPW u.a. den Madison Square Garden auszuverkaufen in diesem Jahr, aber dazu an anderer Stelle mehr.
Konzeptuell versucht AEW ein Gegengewicht zum sehr storylastigen Erzählen von WWE zu setzen und mehr auf das In-Ring-Geschehen zu setzen. Ein bißchen wirkt es wie eine Super-Indy-Promotion, die auch versucht, alle verschiedenen Stilarten des Wrestlings unter ein Dach zu bekommen. Es wird abzuwarten sein, ob sich daraus auch eine kohärente Identität wird ergeben können. Zumindest die Qualität der ersten PPVs war jedoch ordentlich bis sehr gut, wobei man auch merkte, dass ein bißchen die Expertise für solche großen Events fehlt. Angedacht war hierfür übrigens Eric Bischoff, der aber schnell von WWE abgeworben wurde, die sich ebenso Paul Heyman langfristig sicherten, was sicherlich die zwei Personen gewesen wären, die Ahnung von Network-TV haben. Nun wird es ein bißchen learning by doing.
Topverpflichtung war sicherlich aber Chris Jericho, der auch als erster Champion der Liga fungiert und im Mainstream wohl das bekannteste Gesicht ist. Wobei auch Dean Ambrose/John Moxley genannt werden muss, den man von WWE abwerben konnte und der sicherlich in den nächsten Monaten eine große Rolle spielen wird. Insgesamt hat man u.a. auch mit PAC/Neville und anderen ein sehr talentiertest Roster, das über Kooperationen mit chinesischen/japanischen Promotions auch über eine gewisse Tiefe verfügt. Und hey Tony Schiavone und Jim Ross sind als Kommentatoren dabei.
Wahrscheinlich könnte man noch mehr schreiben, aber auf mehr habe ich gerade auch gar keine Lust
