"Der Geist von Donnerschwee"
Die großen Titel hat der VfB Oldenburg nie gewonnen. Aber er hatte mal ein Stadion, das seinesgleichen suchte. Seit Jahren rottet es inmitten der Stadt vor sich hin, nur ab und an verirren sich ein paar Punks, Sprayer oder unverbesserliche Träumer hinein.
Von Volker Kühn anno 2003 (?)
Der Himmel hatte seine Pforten nicht geöffnet, die Erde
sich nicht aufgetan und Helmut Kohl war noch immer
Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Eigentlich
war nichts Besonderes an diesem 16. Juni 1991, einem Sonntagnachmittag
im Oldenburger Arbeiterstadtteil Donnerschwee.
Und dennoch lag eine seltsam unwirkliche Stimmung über dem
Viertel, als der Schiedsrichter im Fußballstadion an der Kreuzung
von Wehdestraße und Donnerschweer Straße um kurz vor
fünf die Pfeife zum Mund führte und das Zweitliga-Spiel zwischen
dem VfB Oldenburg und dem SC Freiburg beim Stande
von 2:2 abpfiff. Es war nach fast einhundert Jahren die letzte
Partie des VfB in Donnerschwee.
„Wir konnten es einfach nicht glauben“, erinnert sich VfBFan
Marc, der damals wie fast 10 000 andere nach Spielschluss
auf den Rasen trottete, um Abschied zu nehmen. Blau-weiße
Fahnen kräuselten sich im leichten Nieselregen, ein paar Jungen
holten sich Autogramme von Spielertrainer Wolfgang Sidka
und weiter hinten machten sich die ersten ‚Andenkenjäger an
den Toren zu schaffen, um etwas Repräsentatives für den heimischen
Garten zu haben. Es gab Würstchen und Freibier, aber
niemandem war nach Feiern zumute. Mit dem Donnerschweer
Stadion hatte der Verein in den Augen vieler Anhänger seine
Seele verkauft.
Das „Freudenhaus der Zweiten Liga“ war tot
Dabei hatte er wohl gar keine andere Wahl. Auf dem VfB lasteten
so gewaltige Verbindlichkeiten, dass als letzter Ausweg
nur der Verkauf der alten Heimat blieb. Und so ging Donnerschwee
für spärliche 2,8 Millionen Mark an einen privaten Investor,
der dort Wohn- und Geschäftshäuser bauen wollte. Der
VfB war damit aus dem Gröbsten raus und zog ins städtische
Marschwegstadion. Eines der stimmungsvollsten reinen
Fußballstadien Deutschlands, von gegnerischen Fans lange vor
dem Millerntor respektvoll „das Freudenhaus der Zweiten Liga“
getauft, tauschte er gegen eine seelenlose Liegenschaft am anderen
Ende der Stadt, die sich manche Fans bis heute „Stadion“
zu nennen weigern. Ironie der Geschichte: Gleich im ersten Jahr
feierte der VfB dort mit der Vize-Meisterschaft in der Zweiten
Liga Nord den größten Erfolg seit der offiziellen Gründung im
Jahre 1897. Und dennoch: Selbst wenn die Stadt inzwischen
eine recht hübsch anzuschauende Tribüne gebaut hat, der Geist
von Donnerschwee macht sich rar am Marschweg.
Die Linienrichter lebten gefährlich
Nicht umsonst singen die Fans auch zwölf Jahre nach dem
Umzug noch immer ein altes Lied zur traurigen Melodie von
„Nehmt Abschied, Brüder“: „Von Donnerschwee bis Liverpool
/ Von Liverpool bis Rom / Von Rom zurück nach Donnerschwee
/ Ja, da spielt der VfB“. Das entsprach zwar niemals der sportlichen
Realität, zeigt aber, wie sehr die Anhänger noch heute
mit dem Verlust der „Hölle des Nordens“ zu kämpfen haben.
Und auch die Jüngeren, die selbst kein einziges Punktspiel im
alten Stadion mit erlebt haben, singen trotzig mit und bekommen
eine Gänsehaut.
Das Besondere an Donnerschwee war wohl seine einmalige
Lage. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte das Gelände als
Baugrube für den Oldenburger Hauptbahnhof gedient. Später
zogen dort Radrennfahrer ein, denen die steil abfallenden Grubenwände
ideale Bedingungen für die Anlage ihrer Rennbahn
boten. Im Jahre 1899 trug dann der Vorgänger des VfB, der FC
Oldenburg, zum ersten Mal ein Fußballspiel im Innenraum der
Rennbahn aus. Schon damals wurde die Platzqualität als mise-
rabel gescholten, eine lange Tradition in Donnerschwee.
Ein paar Jahre später kaufte der Verein das Areal und baute
es zu einem echten Fußballstadion aus. Das Spielfeld befand
sich einige Meter unterhalb der umliegenden Häuser auf
dem Grubenboden, die Rennbahn wurde zum Zuschauerrang
und eine Mauer oben an den Rängen sollte verhindern,
dass der Ball während des Spiels allzu oft auf die Straße
geschossen wurde. Was natürlich trotzdem regelmäßig
geschah.
Wenn VfB-Fans wie Marc und Matte heute in den
Kellerräumen der Oldenburger Faninitiative beim Bier
zusammensitzen, kann es leicht passieren, dass sie mit verklärtem
Blick von der guten, alten Zeit in Donnerschwee
schwärmen. „Das Stadion war so eng, dass der Linienrichter
sich zweimal überlegt hat, ob er abseits winkt. Er hatte
nämlich schnell ein paar wütende Fäuste durch den Zaun
hindurch im Nacken“, erzählt Matte. „Tausend Mann in
Donnerschwee haben doch viel mehr Krach gemacht als
zehntausend anderswo“, fällt ihm Kumpel Marc ins Wort.
„Und wenn fünfhundert wegen Fußball da waren, kamen
noch einmal zweihundert, denen es nur um das Erlebnis
Donnerschwee ging!“ Und überhaupt, schön war die Zeit.
Fußball roch nach Schweiß und Bier, manchmal auch nach Pisse
Da stört es auch nicht, dass das in die Jahre gekommene
Stadion zum Schluss mehr und mehr zum Sanierungsfall
der Baupolizei wurde. Der stets klamme Verein erledigte
immer nur das Nötigste, gerade einmal genug, um die Auflagen
des DFB zu erfüllen. Dementsprechend morsch präsentierte
sich die hölzerne Sitzplatztribüne und in den Ecken
der festgestampften Stehplatzreihen spross das Unkraut. Oldenburger
Fußball roch nach Schweiß und Bier und manchmal
auch nach den Hinterlassenschaften der Zuschauer. „Da ist
doch keiner auf die Toiletten gegangen. Wie sahen die denn
bitte aus!“ entrüstet sich Marc noch heute. Einige Ecken des
späteren Gästeblocks wirkten da einladender.
Sind die Fans auch in Gedanken oft bei ihrem alten Stadion, machen sie in der Realität meist einen weiten Bogen darum.
Zu sehr schmerzt der Anblick. Seit dem Verkauf 1991 hat sich
auf dem Gelände nicht viel getan. Ehrgeizige Baupläne verliefen
im Sande und die einzigen, die sich für das Stadion zu
interessieren schienen, waren ein paar Punks, die in den
Katakomben unter der Tribüne hausten. Eine Zeitlang avancierte
Donnerschwee so zur noblen Adresse in der niedersächsischen
Besetzerszene, bis die Stadt einen Vorwand fand,
um die Tribüne abreißen zu lassen. Auch die Oldenburger
Freizeitfußball-Liga kümmerte sich vorübergehend um den
Platz und stellte neue Eisentore auf. Als dann aber der eigens
angeschaffte Rasenmäher der Bunten Liga seinen Dienst versagte
und das Gras immer höher wuchs, war es auch mit
dem alternativen Fußball vorbei.
Das Stadion wird zum Biotop im Herzen der Stadt
So ist Donnerschwee zum innerstädtischen Biotop geworden.
Auf den Zuschauerrängen wachsen meterhohe Büsche
und Bäume, einsame Spaziergänger spielen mit ihren Hunden
auf dem überwucherten Platz. Ab und an schleicht ein
Sprayer ins Stadion und besprüht die Mauer oberhalb der
Ränge. Die leere Dose holpert achtlos die Stufen hinunter.
Und an spielfreien Samstagen kommt manchmal ein einsamer
Fan, schüttelt traurig seinen Kopf, und geht dann wieder.
Freudenhäuser sehen anders aus.
