Zur Stadionkatastrophe von Hillsborough (Sheffield), bei der im April 1989 insgesamt 96 Menschen (Fans des FC Liverpool) umkamen, wurde in der letzten Woche der Bericht einer 2009 von der damaligen Labour-Regierung eingesetzten unabhängigen Untersuchungskommission veröffentlicht.
Der Bericht räumt mit der Behauptung auf, die Katastrophe sei durch betrunkene und aggressive Liverpool-Fans ausgelöst worden, die z. T. ohne Eintrittskarten in das Stadion eingedrungen seien.
Das hatte die seinerzeit involvierten South Yorkshire Polizei behauptet; und das war die bis letzte Woche noch gültige „offizielle“ Version zu den damaligen Vorfällen. Alles, aber auch wirklich alles gelogen, wie man nunmehr weiß.
In Wahrheit war das Stadion auch nach damaligen Standards nicht als sicher zertifiziert; das Spiel hätte vom englischen Fußballverband dort nicht hin vergeben werden dürfen (es war ein „neutraler“ Platz für das Halbfinal-Spiel im englischen Pokalwettbewerb). Es hätte auch von den zuständigen Ordnungsbehörden hierfür keine Genehmigung geben dürfen.
Festgestellt wurde von der Untersuchungskommission weiterhin, dass die Polizei eine unverantwortlich hohe Anzahl von Liverpool-Fans in den Tribünenbereich dirigiert hat, in dem es dann wegen der heillosen Überfüllung zur Panik und dadurch zur Katastrophe kam. Anstatt zumindest einen weiteren Bereich für die Liverpool-Fans zu öffnen, wollte man sie in einem Block halten, um sie besser kontrollieren zu können.
Irgendein Fehlverhalten der Fans, das in irgendeiner Weise zur Katastrophe beigetragen haben könnte, hat die Kommission dagegen ausdrücklich verneint.
Festgestellt hat sie dagegen, dass „mindestens 41“ der 96 Toten durchaus noch hätten gerettet werden können, wenn man beizeiten angemessene Rettungsmaßnahmen eingeleitet hätte. Dass dies nicht geschah, wird der South Yorkshire Polizei sowie dem vor Ort eingesetzten Rettungsdienst angelastet. Etliche Angehörige haben erst jetzt erfahren, dass ihre Familienmitglieder keineswegs sofort zu Tode kamen, sondern erst erheblich später und infolge unterbliebener erster Hilfe.
Um die erlogene Polizeidarstellung der Katastrophe überhaupt verbreiten zu können, wurde die überwiegende Mehrzahl (mehr als 2/3) der von Polizeiangehörigen gefertigten Berichte nachträglich im Sinne der offiziellen Version verändert, besser gesagt: „gefälscht“. Auch Zeugenaussagen Dritter (Zuschauer, Rettungsdienst-Mitarbeiter usw.) wurden systematisch so verfälscht, dass sie der offiziellen Linie entsprachen.
Die Zeitung „Guardian“ hat 2009 zahlreiche derartige Fälschungen aufgedeckt und damit die unabhängige Untersuchung überhaupt erst in Rollen gebracht. Die Angehörigen der Opfer hatten sich 20 Jahre lang vergeblich darum bemüht.
Besonders infam war es, dass dann aus Polizeikreisen gezielt Gerüchte gestreut wurden, Fans des FC Liverpool hätten die Rettungsarbeiten behindert, Tote und Schwerverletzte beraubt und sogar auf diese uriniert. Das Revolverblatt „Sun“ hat sich ganz besonders dabei hervorgetan, diese Lügen in der Öffentlichkeit zu verbreiten.
Nur eine Geschichte aus dem England der späten 80er Jahre?
Wie sieht es bei uns (Oberliga, Regionalliga) manchmal mit „Gästekäfigen“ aus, in die man auswärtige Fans „aus Sicherheitsgründen“ einsperrt. Käfige, die z. T. auf wenig stabilen Behelfstribünen eingerichtet werden, und die aus Bauzaun-Provisorien bestehen? Wie steht es da mit der Sicherheit der eingesperrten Fans?
Und - Frage an die Presse - ist es wohl immer richtig und angemessen, einseitig und kritiklos die Polizeiversion irgendwelcher Maßnahmen oder Vorkommnisse zu übernehmen und zu verbreiten. So als ob es nicht auch in Deutschland durchaus auch eine Vielzahl durchaus substantieller Kritik an fehlerhaften, überzogenen oder sogar brutalen Polizeimaßnahmen im Umfeld von Fußballspielen gäbe. Wo bleibt da eigentlich die Wächterfunktion der „4. Gewalt“. In England war davon – mit Ausnahme des „Guardian“ - 23 Jahre lang rein gar nichts los, trotz einer Katastrophe, die 96 Tote zur Folge hatte.
Das kritiklose Dramatisieren einer von Fußballfans ausgehenden Gefährdung der Sicherheit, die bezogen auf Teilnehmerzahlen und Vielzahl der ausgetragenen Spiele massiv übertrieben ist, scheint jeden Blick dafür zu trüben, dass auch die Sicherheit der Fans selbst, auch der von auswärts angereisten, ein zu wahrendes Rechtsgut ist. Auch dass selbst auswärtige Fußballfans immer noch Bürger sind, die ihre bürgerlichen Rechte nicht mit dem Tragen eines Vereinsschals zur freien Disposition von Polizei und Ordnungsdiensten stellen, scheint ja nicht unbedingt mehr als Selbstverständlichkeit zu gelten.
Wenn auch viel zu spät, ist jetzt in England das Ausmaß einer geradezu unglaublichen Polizeiverschwörung gegen den Rechtsstaat und gegen eigene Bürger aufgedeckt worden. Man kann nur hoffen, dass die noch greifbaren Täter vor Gericht gestellt und abgeurteilt werden. Das Ausmaß der öffentlichen Empörung in England scheint jedenfalls eine Chance dafür zu eröffnen.
Ein paar Lehren und Konsequenzen aus dieser üblen Geschichte zu ziehen, wäre auch in Deutschland sehr angebracht!
Die Wahrheit über Hillsborough
Moderatoren: Soccer_Scientist, Kane, kalimera
Die Wahrheit über Hillsborough
Zuletzt geändert von Dino am 17.09.2012 17:18, insgesamt 1-mal geändert.
„Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“
(Albert Camus)
(Albert Camus)
Re: Die Wahrheit über Hillsborough
So, sieht die Welt nunmal leider aus.
>>unsere Existenzen sind reine Unterhaltungsmechanismen...<<
Re: Die Wahrheit über Hillsborough
Leider herrscht bei den Medien auch ein Wettbewerbsdruck. D.h. sie sind zum Teil auf (aktuelle) Informationen und Kontaktvermittlungen der Polizei angewiesen, um sich einen Vorteil am Medienmarkt verschaffen oder bestehen, bzw. überhaupt ihre Seiten füllen zu können. Gedankt wird es der Polizei in vielen Fällen mit guter Presse.
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