Für ’n Bier und ’ne Bratwurst
Verfasst: 05.12.2003 14:33
http://www.jungewelt.de/2003/12-05/022.php<br><br>Für ’n Bier und ’ne Bratwurst <br> <br>Die Fans des in Konkurs gegangenen Fußballvereins Göttingen 05 lassen sich mieten <br> <br>Unlängst meldete der traditionsreiche Fußballverein 1. SC Göttingen 05 – in guten alten Zeiten eine norddeutsche Topadresse und 1974 immerhin Gründungsmitglied der 2. Bundesliga – Insolvenz an. Das letzte Spiel ihrer wechselvollen Vereinsgeschichte trugen die am Ende mit drei Millionen Euro verschuldeten Schwarz-Gelben Ende September aus. Im Oktober erfolgte die Streichung aus dem Vereinsregister. Das Konkursverfahren ist mangels Masse eingestellt. Der Verein ist tot. Die Fans aber wollen weiter jubeln. <br><br>»Für ein Bier und eine Bratwurst pro Mann können andere Clubs uns mieten«, erklärt Chrissi vom Fan-Club »Leinetal-Rebellen«. Die Idee entstand vor ein paar Wochen beim Kummerbesäufnis. Seit die Fans das Vorhaben auf ihrer Internetseite (http://www.goettingen05fans.de) bekanntgemacht haben, hagelt es Anfragen.<br><br>Als erste baten die Niedersachsen-Ligisten Germania Leer und MTV Wolfenbüttel um Unterstützung, feste Termine für Auftritte der 05-Fans sind bereits vereinbart. Inzwischen haben sich Vereine und Fan-Clubs aus ganz Norddeutschland in Göttingen gemeldet, erzählt Mit-Initiator Philipp vom Fan-Club »Cider-Boiz«. Beim SV Bosfeld, nahe Osnabrück, hat demnächst der Präsident Geburtstag, »da sollen wir das Geburtstagsgeschenk sein«. Und auch die Deutsche Post fragte bereits in Göttingen um Unterstützung für ein Hallenturnier nach.<br><br>Generalprobe war neulich beim Spiel des langjährigen 05-Lokalrivalen SC Weende gegen den SC Goslar. »Wir haben da für Goslar geschrieen«, sagt Philipp, »die waren wohl ganz zufrieden mit uns«.<br><br>Berührungsängste haben die Göttinger Fans keine, nur für den langjährigen 05-Lokalrivalen SC Weende und die Braunschweiger Eintracht würden sie auch auf Bestellung niemals jubeln. Mit den Braunschweigern, erläutert Phillip, »verbindet uns eine jahrzehntelange, feste Feindschaft«.<br><br>»Wir haben alles mögliche drauf«, sagt Sauer (»Cider-Boiz«) auf die Frage, was den Kunden denn so geboten würde. Eigens gestaltete Transparente und Banner natürlich, originelle Sprechchöre und selbstgetextete Lieder. »Jedenfalls nicht dieses Standard-Zeugs, das man in jedem Stadion hört, wo nur der Vereinsname ausgetauscht wird.« Sie könnten sogar eine südländische Atmosphäre schaffen, versichert Philipp. »Das kostet aber einen kleinen Aufschlag.« Für die bereits gebuchten Spiele von Leer und Wolfenbüttel haben sich die Göttinger bereits erste Gedanken gemacht. Bei Wolfenbüttel, so Sauer, »machen wir ein spezielles Spruchband, irgendwas mit Mast und Jägermeister«.<br><br>In jedem Fall wollen die Fans »immer 05-Anhänger bleiben«. »Ich schreie doch nicht 90 Minuten nur ›Vorwärts, Wolfenbüttel‹«, sagt Chrissi. »Das sollen alle mitkriegen, daß wir 05-er sind. Wir haben einen guten Ruf zu verteidigen.« Und auch Sauer meint, sie hätten traditionell »das Niveau auf der Gegengerade erhöht«. Wenn etwa ein Zuschauer »Neger« oder »Zigeuner« rief, intervenierten die Fans – freundlich, aber bestimmt. »Diese Art von Fan-Kultur wollen wir nach außen tragen«, sagt Sauer.<br><br>Stets mischten sich die Göttinger Fan-Clubs in die Vereinspolitik ein. Sie geben ein informatives und unterhaltsames Magazin namens Der schlafende Riese heraus, machen eine eigene Radiosendung und haben einen ansprechenden Internetauftritt. Im vergangenen Jahr organisierten sie im Göttinger Rathaus die Ausstellung »Tatort Stadion«, welche neben der Gewalt in den Arenen auch die Fußballfan-Rekrutierungsversuche von Neonazis anprangert. Und sie sind selbstverständlich Mitglied im »Bundeskongreß Aktiver Fußball-Fans« (BAFF), dem Dachverband von Fan-Initiativen aus ganz Deutschland, die gegen Rassismus und die zunehmende Kommerzialisierung beim Fußball angehen.<br><br>Stimmung auf Bestellung – riecht das nicht auch ein wenig nach Prostitution? Nein, meint Sauer, »wir verdienen damit ja schließlich kein Geld«. Außerdem sei das ganze Vorhaben befristet, die Fans wollen sich nur in dieser Saison mieten lassen. Aus der Konkursmasse des SC Göttingen ist nämlich bereits ein neuer Verein entstanden, der 1. FC Göttingen 05. Herrenmannschaft und A-Junioren werden wahrscheinlich im kommenden Sommer spielberechtigt sein. »Egal in welcher Liga«, sagt Philipp, »wir werden auf jeden Fall hingehen«. <br>