VfB Oldenburg 4.0

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Dino
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Re: VfB Oldenburg 4.0

Beitrag von Dino »

So, bringen wie es, wenngleich mit erheblicher Verspätung, zu Ende:

Michael Kalkbrenner hat ja ein flammendes Plädoyer für Nachhaltigkeit und Kontinuität für eine erfolgreiche bzw. besser gesagt am ehesten zum Erfolg führende Entwicklung eines Vereins formuliert. Dabei definiert er Erfolg nicht allein vom sportlichen Abschneiden her, sondern eher als einem Gleichklang von sportlichem, wirtschaftlichem und strukturell-organisatorischem Fortschritt.

Von daher – Stichwort Kontinuität – kritisiert er die Entlassung von Dario Fossi im Verlauf der Rückrunde der Drittliga-Saison. Man hätte nach Michaels Meinung seinerzeit besser daran getan, zusammen mit Fossi zu analysieren, was nicht gut gelaufen ist, welche Fehler gemacht wurden. Fußballfachlich dafür geeignete Leute gab (und gibt) es ja im Verein durchaus. Mit der Entlassung wurde die Chance einer Lernkurve zugunsten des gemeinsamen Projekts ein Stück weit vergeben. „Es kommt der nächste (Trainer) und macht andere Fehler“ (Michael zitiert hier Robin Dutt, Trainer des SC Freiburg von 2007 bis 2011).
Freiburg dient zu Recht als Muster dafür, wie weit man es mit konzeptioneller und personeller Kontinuität nicht nur bringen kann, sondern im konkreten Fall nachweislich gebracht hat.
Auf Michaels Anmerkungen zum aktuellen Trainer will ich hier nicht weiter eingehen, da Fuat Kilic bisher „nur“ zweimal nach vorherigen Trainerentlassungen eingesprungen ist, von daher „entwicklungstechnisch“ bisher nur sehr begrenzt (mit)wirken konnte. Man wird sehen, welche Entwicklung sich mit ihm in der näheren und weiteren Zukunft einstellt, wenn Fuat sich, was ich mit wünsche, auf längere Sicht als Teil des VfB-Entwicklungsprojekts einbringt.

Neben dem SC Freiburg führt Michael Kalkbrenner noch ein zweites Beispiel (Vorbild) für ein „nachhaltiges sportliches Konzept“ an, den SC Preußen Münster (inzwischen in der 3. Liga angekommen und derzeit im Rennen um einen Aufstiegsplatz oder den Relegationsplatz). Malte Metzfelder (der jüngere Bruder von …) kam 2017 nach 10 turbulenten, aber insgesamt sehr erfolgreichen Jahren in Ingolstadt zum SC Preußen. Sein Statement beim Dienstantritt in Münster: „Wir haben keine Zukunftssorgen, sondern ein Gegenwartsproblem.
Wir möchten Strukturen schaffen, in denen die Wahrscheinlichkeit steigt, sportlichen Erfolg zu haben. … Mit guten Strukturen kann man Erfolge vorbereiten."
Die von mir im Fettdruck hervorgehobene Passage ist, in knapper Zusammenfassung, die Quintessenz dessen, was Michael Kalkbrenner vorschlägt und sich für den VfB wünscht, nämlich „eine stabile und nachhaltige Basis für Profifußball“ zu etablieren. Denn, „wenn ein Verein in den Profifußball will, kommt er nicht umhin, die strukturellen Voraussetzungen hierfür zu schaffen, erst recht, wenn er dauerhaft dort verbleiben will.“

Abschließend noch zwei Themen:

Der „richtige“ Trainer, bzw. wie findet man ihn?
„Ein winning Team“, bzw. wie „baut“ man sich eins auf?

Zu beiden Fragen sieht Michael es als fundamental wichtig und geradezu als Voraussetzung an, dass der Verein „konkrete Vorstellungen davon hat, … welchen Fußball er (der Verein!) sehen will.“ Klarheit bezüglich des Selbstbilds und der eigenen Ansprüche und Vorgaben auf Seiten des Vereins als die wesentliche Voraussetzung dafür, bei der Wahl eines Trainers, wie auch bei der Zusammenstellung eines Spielerkaders passende Kandidaten zu finden. Und um die Kompatibilität von Kandidaten mit dem eigenen Selbstverständnis und den eigenen Ansprüchen abzugleichen, müssen diese im Verein klar sein und klar ausformuliert.
Nun ist die Entwicklung eines Selbstverständnisses und eines dann auch nach außen zu kommunizierenden Selbstbilds (Images) eines Vereins, wie im Übrigen auch anderer Organisationen etwas, das nur als Prozess und im Dialog gelingen kann. Sich von irgendwelchen Beratern oder anderen Schlauköpfen ein „Markenimage“ passgerecht schneidern zu lassen, wird in aller Regel nicht funktionieren. Man denke nur an „die Mannschaft“. Vielleicht clever ausgedacht, aber künstlich und von oben her verordnet – eine Totgeburt.

Aber Michael benennt, sicherlich aus eigener Erfahrung heraus, auch mehr praktische, generell gültige Regeln für die Zusammenstellung eines „Winning Teams“. Neben der optimalen Größe eines Kaders (24 Spieler) kommt es Michael auf eine Ausgewogenheit an, was die unterschiedlichen Spielertypen betrifft. Hierunter ist jetzt nicht zu verstehen, wie viele Spieler jeweils für Abwehr, Mittelfeld, Außenbahnen und Sturm eine ausgewogene Mischung ergeben. Für dieses Mischungsverhältnis gibt es hinlängliche Erfahrungswerte mit eher geringer Schwankungsbreite.
Michael geht es um Ausgewogenheit im Verhältnis zwischen“(dominanten oder individualistischen) Führungsspielern“, „Teamplayern" und “Einzelgängern“ bzw. „Individualisten“. Wer es weniger kompliziert und weniger anspruchsvoll mag, spricht da vielleicht vereinfachend von „Häuptlingen“ und „Indianern“, von „Sauhunden“ und eher sensiblen Typen, von (alten) Routiniers und jungen Talenten
Patentrezepte für eine ausgewogene Mischung kann es nicht geben, auch Michael benennt keins, abgesehen von dem Hinweis, dass es auf das Selbstverständnis und den wirtschaftlichen Möglichkeiten des Vereins ankommt, wie hoch man den gewollten Anteil von Talenten aus dem eigenen Nachwuchs im Schnitt halten möchte. Er weist nur darauf hin, dass sich der (oder die) Kaderplaner zur Ausgewogenheit ihres Kaders Gedanken machen müssen und dann auch bewusste Entscheidungen zu treffen haben.

Und natürlich, das „liebe Geld“, die Gehaltsstruktur des Kaders. Michael hat es nicht erwähnt, dafür tue ich es. So manche auf dem Papier hochkarätige Mannschaft ist schon daran gescheitert, dass die Gehaltsstruktur intern nicht mehr ausreichend vermittelbar war, sei es dass sie tatsächlich unstimmig war oder dass sie zumindest (teilweise) so empfunden wurde.
Michael teilt die Expertenmeinung, wonach es „sinnvoll (ist), Kategorien von Spielern (s. o.) ‚Gehaltskorridore‘ zuzuordnen, an die sich die sportliche Leitung … diszipliniert halten sollte.“ Das läuft auf eine Differenzierung nach sportlicher Qualität und Wert für die Mannschaft hinaus, die innerhalb des jeweiligen Korridors noch eine Feinabstimmung zulässt. Dazu geht Michael noch auf die Frage ein, wie sich ein Personalbudget auf Fixum und erfolgsabhängige Komponenten aufteilen sollte. Dass im Falle eines Auf- oder Abstiegs Gehaltsanpassungen fällig sind, sollte natürlich bei mehrjährigen Verträgen berücksichtigt werden.

Eigener Nachwuchs versus Transfers:
Natürlich beides, aber in welchem (angestrebten) Verhältnis? Es überrascht nicht, dass Michael sehr dazu neigt, der eigenen Nachwuchsarbeit einen sehr hohen Stellenwert zuzuschreiben. Junge Talente selbst zu entwickeln, ist in aller Regel preiswerter als sich gestandene Spieler vom Markt zu besorgen. Und man kennt die eigenen Nachwuchsspieler bereits gut, was das Risiko gegenüber einem Transfer deutlich mindert.
„Wenn ein Verein nicht viel Geld hat, kann man sich gestandene Spieler mit hoher Qualität nur leisten, wenn sie einen gewissen ‚Makel‘ mit sich herumschleppen“, wie etwa Verletzungsanfälligkeit oder ein Ruf als schwieriger Typ. Da klingelt es bei Lesen sicher dem einen oder anderen in beiden Ohren. Die Frage für den Verein: Können wir das (strukturell) bewältigen/auffangen?
„… wichtig ist es, dass der Klub sich um den Menschen (Spieler) kümmert, sobald er da ist.“ Hier geht es darum, ein leistungsförderndes Wohlgefühl im Auge zu haben, wozu eben auch eine Menge Dinge gehören, die eher dem privaten Lebensbereich zuzuordnen sind. Hierzu von mir ein ganz dickes Ausrufezeichen!

Und wer soll letztlich über die Zusammensetzung des Kaders entscheiden? Michael zitiert hierzu Ramazam Yilderin, ehemals Direktor Profisport bei der SpVgg Greuther Fürth: „Der Verein, der Sportdirektor müssen die Vorgaben machen und dabei die Ideen des Trainers berücksichtigen. Im Idealfall haben sie den Trainer, der mit seiner Persönlichkeit, Fach- und Sozialkompetenz zu ihrer Philosophie passt.“
Das ist, nebenbei gesagt das deutsche Prinzip, wogegen im britischen Fußball das Manager-Prinzip gilt, wonach der Trainer/Manager in eigener Kompetenz (und in einem vom Verein vorgegebenen finanziellen Rahmen) auch die Transfer-Entscheidungen trifft.

Interessant fände ich es, die Gedanken und Forderungen, die Michael ein seinem Buch entwickelt und dargelegt hat, an die Entwicklung des VfB seit dem Amtsantritt von Michael Weinberg und der Fossi-Ära sozusagen als Benchmark anzulegen. Wo stehen wir da, wie haben wir uns entwickelt (Stadionfrage inbegriffen)? Vielleicht ergibt sich hierzu eine Diskussion.
„Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“
(Albert Camus)

Bellheimer
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Re: VfB Oldenburg 4.0

Beitrag von Bellheimer »

Hallo Dino,

danke für die inhaltliche Zusammenfassung und Kommentierung meines Buches in drei Teilen: ausführlich und gut gelungen, wie ich finde.

„Bei dem Versuch, einen möglichen Weg in die Zukunft des VfB Oldenburg zu beschreiben, bemühe ich mich als Autor, eine Diskussion zu unterstützen, die sicherlich nicht nur innerhalb des Vereins unter den Verantwortlichen geführt wird…“ - so habe ich zur Motivation meines Buchprojektes in der Einleitung ausgeführt.

Ich würde mich daher freuen, wenn sich aufgrund meines Buches tatsächlich eine Diskussion entwickelt, wie Du sie selber in Deinen Ausführungen anregst.

Grüße an alle!

Michael

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Dino
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Re: VfB Oldenburg 4.0

Beitrag von Dino »

Hallo Michael,
nach der freundlichen Mahnung, endlich mit Teil 3 „in die Puschen zu kommen“, nun ein Lob. Danke für die Blumen.
Offen gesagt, hatte ich erwartet, dass sich um Dein Buch hier eine lebhafte Diskussion entwickeln würde, was mich auch motiviert hat, es hier zu besprechen.
Diese Erwartung wurde bisher nicht erfüllt und es sieht auch jetzt nicht unbedingt danach aus, leider.

Dass ich dem Konzept zustimme, wonach nachhaltige Strukturen entwickelt werden sollten (müssen) um den Schritt in den professionellen Fussball erfolgreich gehen zu können, ist in meiner Besprechung sicher deutlich zum Ausdruck gekommen.

Ich mache mir aber immer noch so einige Gedanken um die Zeit mit Dario Fossi, also die Meistersaison, den Aufstieg und die Drittliga-Saison.
Dario Fossi war als Spieler des SV Wilhelmshaven bekannt, danach als Trainer beim VfL Oldenburg. Als der VfB ihn verpflichtet hatte, habe ich dazu hier im Forum sinngemäss geschrieben, er müsse jetzt zeigen, dass er nicht nur junge Talente gut entwickeln kann sondern auch eine gestandene RL-Mannschaft.
An eine Meisterschaft und einen Drittliga-Aufstieg habe ich dabei seinerzeit nicht im Traum gedacht. Und ich glaube, das hat, Dario selbst vielleicht ausgenommen, niemand beim VfB getan.
Die Transfers in der RL-Zeit mit Dario Fossi waren nun auch nicht so, dass sie besonders grosse Erwartungen wecken konnten, auch wenn sich später gezeigt hat, dass da echte „Volltreffer“ dabei waren (Boevink, Adetulah, Brand, Knystock, Zietarski, …).
Und dennoch entwickelte sich in der Meistersaison eine Dynamik, die sich letztlich bis weit in die Vorrunde der folgenden Drittliga-Spielzeit erhalten hat.
Meine Erklärung dafür: Fossis Charisma, das der Mannschaft viel Glauben und Überzeugung vermitteln konnte, ein guter Start, der zum Flow wurde, Glück in einigen entscheidenden (und knappen) Spielen, besonders im so gut wie alles entscheidenden RL-Heimspiel gegen HSV II und in den beiden Relegationssspielen gegen den BFC Dynamo.

Der VfB als Verein konnte in der Aufstiegssaison und danach in Liga 3 nicht viel mehr machen, als der sportlichen Entwicklung - so gut es eben ging - hinterherzulaufen, was Organisation und Strukturen anbelangte. Sehr viele ad-hoc-Massnahmen und eine Menge Improvisation konnten da gar nicht ausbleiben. Aber, die grosse Frage, was sonst hätte der Verein in dieser Situation tun können (sollen)?

Ja, in der 3. Liga wurden Fehler begangen, auch und gerade, was die verordnete Spielweise betraf. Und dennoch, ein Klassenerhalt war nicht unmöglich, lag sogar lange genug gar nicht einmal sehr fern. Dass einige „mit einen Makel behaftete“ als Verstärkungen geholte gestandene Spieler aus Verletzungs- und anderen Gründen nicht wie erhofft gezündet haben, und dass (auch dadurch) der Kader insgesamt qualitativ zu wenig Tiefe aufwies, ist inzwischen klar, auch dass der Abstieg dann eine logische Konsequenz war.

Aber, hätte der VfB in der damaligen Situation nach dem Aufstieg Entscheidendes anders machen können, sollen, müssen? Welche Ansätze dafür hätte es gegeben, von der Frage des Trainerwechsels einmal abgesehen?
Und ist es jetzt überhaupt noch wichtig, sich dazu Gedanken zu machen?
Ich meine ja, denn Unverhofft kommt (vielleicht nicht allzu) oft, aber eben immer durchaus unverhofft. Man stelle sich nur einmal vor, der VfB schafft einen weiteren Aufstieg bevor das neue Stadion steht (und mit ihm so einige deutlich besseren Strukturen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen). Was dann? Welche Lehren gilt es in so einen Fall aus der Drittliga-Saison 2022/23 zu beherzigen? Denn eins ist klar: Vorbereitung schlägt Prognose. Und zur Vorbereitung gehört eine Lernkurve.
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(Albert Camus)

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Roberto
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Re: VfB Oldenburg 4.0

Beitrag von Roberto »

Habe mich vor und während der Lektüre gefragt, warum das Buch ‚VfB Oldenburg 4.0‘ heißt und frage es mich immer noch. :|

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